Café in Berlin 1.
Die Wohngemeinschaft Mein
Vater sagt, die Deutschen spielen gut Fußball. Aber mein Vater spielt nicht
Fußball. Er schaut Sport nur im Fernsehen. Mein Onkel sagt, die Deutschen
trinken viel Bier. Aber er trinkt auch viel Bier. Was ist deutsch und was ist
normal? Ich weiß es nicht. Ich bin Dino. Ich komme aus Sizilien. Seit einem
Monat wohne ich in Berlin. Das Wetter ist schlecht hier. Es regnet oft und es
ist kalt. Ich vermisse die Sonne und das Meer. Aber es gibt Arbeit hier,
sagen die Statistiken. Ich habe noch keine Arbeit gefunden, aber ich habe
nicht wirklich gesucht. Zuerst muss ich Deutsch lernen. Und das ist gar nicht
so einfach. Ich wohne in Kreuzberg. Das ist ein Stadtteil in Berlin. Hier
leben Menschen aus der ganzen Welt. Ich wohne in einer WG, kurz für:
Wohngemeinschaft. Das bedeutet, ich wohne gemeinsam mit anderen Leuten. Wir
sind alle Ausländer. In meiner WG wohnt ein Mexikaner, ein Chinese, ein
Amerikaner und ich. Wir sprechen meistens Englisch. Das ist nicht gut, sagt
meine Lehrerin. Wir müssen Deutsch sprechen, den ganzen Tag, sagt sie. Meine
Lehrerin kommt aus Potsdam. Jeden Tag gehe ich zum Deutsch-Unterricht. Drei
Stunden, jeden Tag! Es ist oft langweilig. Wir lernen Grammatik und machen
Übungen. Am Abend muss ich Hausaufgaben machen. Meine Mitbewohner lernen auch
Deutsch. Chang, mein chinesischer Mitbewohner ist sehr fleißig. Er macht
immer die Hausaufgaben. Ted, der Amerikaner, macht nie seine Hausaufgaben.
Aber er hat ein iPad. Chang macht Teds Hausaufgaben, und Chang darf jeden Tag
zwei Stunden das iPad benutzen. Ted sagt, das ist ein guter „Deal“. Ich
versuche, meine Hausaufgaben selbst zu machen. Aber ich habe nicht viel Zeit.
Es gibt in Berlin so viele Partys. Ich denke, Partys sind gut zum Deutsch
lernen. Aber ich habe ein Problem. Die Deutschen sprechen immer Englisch mit
mir! Ich spreche sehr viel Englisch in Berlin. Zu viel vielleicht? 2.
Multikulti Gestern
habe ich Pizza gegessen. Die Pizzeria heißt O Sole Mio, aber niemand dort
spricht Italienisch. In der Pizzeria arbeiten zwei palästinensische Brüder.
Ich habe eine Thunfischpizza gegessen. Der Preis war super (zwei Euro
fünfzig). Die Pizza war nicht so gut, aber die Pizzeria ist nur wenige Meter
von meiner Wohnung entfernt. In unserer WG ist es schwierig mit dem Essen.
Niemand kocht, aber wir haben immer Berge von Geschirr. Es ist ein Mysterium.
Unser Kühlschrank ist wie ein Schwarzes Loch. Wenn ich etwas im Supermarkt
kaufe und in den Kühlschrank lege, ist es nach zwei Stunden verschwunden. Wir
haben vier Fächer in unserem Kühlschrank. Ganz oben ist Gustavos, darunter
Changs, dann Teds und dann meins. Ted, Chang und Gustavo sagen, sie essen nur
ihre eigenen Sachen. Ich sage das auch. Aber wenn mein Fach leer ist, esse
ich manchmal einen Joghurt oder Käse aus Gustavos Fach. Es ist einfacher
draußen zu essen – und billiger. Es gibt viele verschiedene Restaurants. Es
gibt Döner aus der Türkei, gegrilltes Lamm aus Pakistan, Berliner Buletten,
die palästinensische Pizza von nebenan und vieles mehr. Eine Berliner
Spezialität ist die Currywurst. Die Currywurst hat
eine interessante Geschichte. Im Jahr 1949 hatte eine Berliner Frau von
britischen Soldaten Worcestershiresauce und indisches Curry bekommen. Sie hat
die beiden Zutaten mit amerikanischem Ketchup vermischt und auf eine deutsche
Wurst gegeben. Man sagt, die Currywurst ist typisch deutsch. Ist multikulti
typisch deutsch? Einmal war ich nach einer Party um zwei Uhr morgens Döner
essen mit Jamaal, einem syrischen Freund. Wir haben zwei Döner bestellt. Der
Dönermann sagte zu Jamaal etwas auf Arabisch. Wir haben unseren Döner auf
einer Parkbank gegessen. Danach fragte ich Jamaal: „Was hat der Dönermann zu
dir gesagt?“ „Vorsicht, Habibi, ist Schweinefleisch
drin“, sagte Jamaal. 3.
Ingrid In
meinem Deutschkurs sitzen Menschen aus der ganzen Welt. Ein paar haben einen
deutschen Freund oder eine deutsche Freundin. Andere wollen in Deutschland
arbeiten. Aber wir haben alle das gleiche Problem: die deutsche Sprache. Der
Kurs ist sehr langweilig. Wir arbeiten mit einem Buch, Seite für Seite, und
machen alle Übungen. Von einer CD hören wir kurze Gespräche. Die Lehrerin ist
eine Schlaftablette. Das Beste an meinem Deutschkurs
sind die Pausen. Dann können wir Kaffee trinken und mit den anderen Studenten
reden. Wir haben seit ein paar Tagen eine neue Studentin aus Schweden. Sie
ist sehr hübsch. Sie hat blonde Haare, blaue Augen und ein süßes Lächeln. Sie
heißt Ingrid. Ihr Deutsch ist sehr gut. Ich weiß nicht, warum sie in unserem
Kurs ist. Aber es ist gut, dass sie hier ist. Unsere
Sprachlernschule hat eine kleine Küche mit einem Wasserkocher. Es ist eine
sehr kleine Küche, nur einen Quadratmeter groß. In der Pause
habe ich dort mit Ingrid einen Kaffee getrunken. „Und du, was machst du in
Berlin?“, fragte ich. Ingrid lächelte und sagte:
„Ich will in Berlin Film studieren.“ „Ah, du willst
eine Schauspielerin werden, so wie Angelina Jolie!“,
sagte ich. Ingrid schüttelte ihren Kopf. „Nein“, sagte sie. „Ich will nicht
vor die Kamera, sondern hinter die Kamera.“ „Ach so“, sagte ich. „Du willst … Dirigent
sein!“ Ingrid lachte und sagte. „Ja, aber auf
Deutsch sagt man Regisseur. Ein Dirigent ist eine Person, die ein Orchester
leitet.“ „Ah … ja, das wusste ich …“, sagte ich.
„Welche Filme schaust du gerne?“, fragte Ingrid.
„Ich mag Sylvester Stallone und Bruce Willis“, sagte ich. „Ah“, sagte Ingrid.
„Hast du den Film gesehen, wo Stallone in Japan ist?“,
fragte ich. „Es gibt eine Szene, wo er gegen einen Ninja kämpft …“ Ich machte eine Bewegung mit der Hand. Aber ich hatte
die Kaffeetasse vergessen. Der Kaffee flog durch die Luft und landete auf den
Wänden, auf dem Fußboden und auf Ingrids weißem T-Shirt. „Mann!“, rief Ingrid. „Ich wollte nach dem Unterricht ins Kino
gehen. Jetzt muss ich erst zurück nach Hause fahren.“
„Keine Sorge“, sagte ich. „Ich habe eine gute deutsche Waschmaschine. Die
macht alles sauber!“ „Wo wohnst du?“,
fragte Ingrid. „Um die Ecke“, sagte ich. „Okay, lass uns gehen“, sagte
Ingrid. „Und der Unterricht?“, fragte ich. „Oh Gott,
es ist so langweilig“, sagte Ingrid und lächelte. 4.
Die Waschmaschine Ich
öffnete die Wohnungstür und rief: „Hallo? Jemand da?“
Niemand antwortete. Ingrid und ich betraten die Wohnung. Auf dem
Wohnzimmertisch stand eine Armee von leeren Bierflaschen.
Die Sofas waren bedeckt mit T-Shirts, Hosen und Jacken. Auf dem Fußboden
lagen alte Zeitungen. „Willkommen in meinem Reich“, sagte ich. Ingrid nahm
eine Zeitung vom Boden und sagte: „Wow, diese Zeitung ist drei Jahre alt!“ „Ja“, sagte ich. „Wir haben ein kostenloses Abonnement
für die Berliner Zeitung. Aber niemand von uns hat Zeit, sie zu lesen.“ Ich nahm einen Berg Schmutzwäsche vom Sofa und sagte:
„Setz dich!“ „Mit wie vielen Leuten wohnst du hier?“, fragte Ingrid und setzte sich. „Drei“, sagte ich.
„Wohnst du auch in einer WG?“ „Nein“, sagte Ingrid.
„Ich wohne in einer Einzimmerwohnung. Aber ich denke, es ist schön, mit
anderen Menschen zusammenzuwohnen.“ „Schön?“, sagte ich und setzte mich. „Manchmal. Aber es kann
auch nervig sein. Jeden Morgen, wenn mein Mitbewohner Gustavo aufsteht,
spielt er laute Heavy Metal Musik.“ „Oh“, sagte
Ingrid. „Metal am Morgen, das ist wie Wodka zum Frühstück!“
Ich lachte und sagte: „Ah ja, die Waschmaschine ist in der Küche.“ Wir standen auf
und gingen in die Küche. „Ignorier das Chaos, bitte!“,
sagte ich. „Die Waschmaschine ist hier in der Ecke.“
Ich wischte den Staub von der Maschine und sagte: „Bitteschön!“ „Ihr wascht nicht so oft?“,
fragte Ingrid. „Wir haben nicht immer Zeit, aber die Maschine ist perfekt“,
sagte ich. „Okay“, sagte Ingrid. „Hast du Waschpulver?“
„Äh, nein“, sagte ich. „Ist Spüli okay?“ „Besser als
nichts“, sagte Ingrid. „Und jetzt?“, fragte ich.
„Schließ deine Augen“, sagte Ingrid. Ich schloss meine Augen. Einen Moment
später hörte ich die Wohnungstür. „Hallo? Jemand da?“, rief Ted. Ich öffnete die Augen. Ingrid stand nur mit BH bekleidet in der Küche. Ted lächelte und
sagte: „Mamma mia!“ Dann ging er in sein Zimmer und
schloss die Tür. „Sorry“, sagte ich. „Ist dein T-Shirt in der Maschine?“ Ingrid nickte und fragte: „Hast du etwas für mich zum
Anziehen?“ „Moment“, sagte ich und ging in mein
Zimmer. Ich nahm ein T-Shirt vom Boden auf, schnüffelte und legte es schnell
wieder zurück. Auf einem Stuhl fand
ich ein relativ frisches T-Shirt. Ich ging in die Küche und gab Ingrid das
T-Shirt. Ingrid zog das T-Shirt an. Es war lang und schwarz, mit Bildern von
Totenköpfen und einer Iron Maiden Aufschrift. „Ist das Gustavos?“, fragte Ingrid. „Kann sein“, sagte ich. „Steht dir gut!“ 5.
Masken Gestern war ich mit Ingrid im Kino. Der Film
war auf Norwegisch, mit deutschen Untertiteln. Ich habe nicht viel
verstanden. Der Film handelte von einem Mann mit einer Maske. Er hat die
Maske überall getragen, im Büro, im Supermarkt und sogar im Bett. Ingrid hat
gesagt, die Maske symbolisiert das Ego des Mannes. Der Film war in
Schwarz-Weiß. Ich habe Ingrid gefragt, ob die Farben im Kino kaputt sind. Sie
hat gelacht und gesagt: „Das ist Kunst.“ Der Film
war ziemlich langweilig. Es ist nichts passiert. Aber das war egal. Ich habe
Ingrid umarmt. Sie hat ihren Kopf auf meine Schulter gelegt. Der Mann mit der
Maske ist am Ende des Films in ein Loch gefallen. Ingrid hat gesagt, das Loch
symbolisiert die Depression des Mannes.
Nach
dem Film haben wir zusammen ein Bier in einer Bar getrunken. Ingrid hat
gesagt, dass sie am nächsten Morgen nach Hamburg fährt. Sie hat gesagt, ihre
Schwester wohnt dort. Ich habe sie gefragt, wie lange sie in Hamburg bleibt.
Sie hat gesagt, sie weiß es nicht. „Hast du Geschwister?“,
fragte Ingrid. „Ja“, sagte ich. „Zwei Brüder und eine Schwester.“ „Wohnen sie auch in Deutschland?“,
fragte Ingrid. „Nein“, sagte ich. „Ein Bruder lebt in Rom, einer in New York,
und meine Schwester wohnt bei meiner Mutter. Sie ist noch sehr jung.“ „Ich habe nur eine Schwester. Sie studiert Philosophie
in Hamburg“, sagte Ingrid. „Es ist schön, eine große Familie zu haben, oder?“ „Naja“, sagte ich. „Hier in Berlin habe ich meine Ruhe.
In Sizilien treffe ich jeden Tag meine Cousinen, Cousins, Onkel und Tanten.
Sie fragen immer, wann ich heirate und wann ich beginne zu arbeiten. Sie
sagen, mein Bruder in New York macht es richtig. Er arbeitet den ganzen Tag
und ist jetzt reich.“ „Was macht dein Bruder?“, fragte Ingrid. „Irgendwas mit Geld“, sagte ich. „Aber
er arbeitet zu viel. Er ist immer gestresst.“ Wir haben weiter Bier getrunken und über
das Leben gesprochen, bis es ein Uhr morgens war.
„Okay, ich muss gehen“, sagte Ingrid. „Sonst verpasse ich meinen Bus morgen!“ „Kann ich deine Nummer haben?“,
fragte ich. „Ich habe kein Handy“, sagte Ingrid. „Was?“,
fragte ich. „Ich hasse Handys“, sagte Ingrid. „Aber du kannst meine
Email-Addresse haben, wenn du willst.“ Sie nahm einen Stift und einen Zettel aus
ihrer Handtasche, schrieb etwas und gab mir den Zettel. Dann küsste sie mich
auf die Wange, sagte: „Arrivederci!“ und war
verschwunden. 6.
Im Prinzenbad Es ist Ende August. Es regnet viel. Aber es
ist noch nicht so kalt. Heute scheint die Sonne ein bisschen. Ted hatte die
Idee, schwimmen zu gehen. Aber wo?
„Strandbad Wannsee“, sagte Ted. „Wie kommen wir dorthin?“, fragte ich. Ted tippte etwas auf seinem Handy und
sagte: „Zuerst nehmen wir den Bus M29, dann die S-Bahn S1.“
„Was ist mit dem Badeschiff?“, fragte ich. „Ist das
ein Hallenbad?“, fragte Chang. „Nein“, sagte ich.
„Das ist ein schwimmender Pool in der Spree.“ „Ein
schwimmendes Schwimmbad im Fluss?“, fragte Chang.
„Verstehe ich nicht.“ „Man kann nicht direct in der
Spree baden. Der Fluss ist zu schmutzig“, sagte ich. „Und das Badeschiff ist
verseucht mit Hipstern“, sagte Ted. Chang sagte: „Oder wir fahren an die
Ostsee.“ Ted lachte. „Bist du verrückt?“, fragte er. „Warum?“, fragte
ich. Ted tippte auf seinem Handy und sagte: „Von hier bis zur Ostsee sind es
mehr als drei Stunden Zugfahrt.“ „Oh, okay“, sagte
Chang. Am Ende sind Ted, Chang und ich ins Prinzenbad gegangen. Es ist ein
Freibad, nur wenige Minuten entfernt. Am Eingang stand ein Mann mit einem
„Sicherheit“ T-Shirt. Er hat unsere Taschen
durchsucht. „Was suchen Sie?“, fragte Chang.
„Messer, Schlagstöcke, Pistolen?“, sagte er. Wir
schüttelten den Kopf. Dann haben wir Eintrittskarten gekauft. Vier Euro pro
Person. Das Prinzenbad ist ein interessanter Ort. Man hört hier viel
Arabisch, Türkisch und Deutsch. Hier sieht man Mädchen in Bikinis neben
Frauen in „Burkinis“. Gruppen von türkischen Jugendlichen spielen im
Baby-Becken. Deutsche Mütter schimpfen mit ihren Kindern. Männer vom
Sicherheitsservice patrouillieren. Babys schreien. Es riecht nach Chlor und
Pommes. Das Wasser hatte eine gute
Temperatur. Nicht zu warm, nicht zu kalt. Das Schwimmen war schwierig. Die
Kinder springen immer von der Seite ins Wasser. Der Bademeister ruft in sein
Megaphon: „Nicht vom Beckenrand springen!“ Aber es
interessiert die Kinder nicht. Nach dem Schwimmen haben wir Pommes gegessen.
Rot-weiß, mit Mayonnaise und Ketchup. Dann waren wir müde. „Schön hier“,
sagte Chang. „Wannsee ist besser“, sagte Ted.
„Nächstes Mal“, sagte ich. Dann hörten wir ein Donnern. Der Himmel
wurde schwarz. Es begann zu regnen. 7.
Ohne Moos nix los Ich habe Ingrid eine Email geschrieben. Sie
hat noch nicht geantwortet. Vielleicht kann ich sie in Hamburg besuchen. Ich
war noch nie in Hamburg. Es ist eine schöne Stadt, habe ich gehört. Ich checke meine Emails jeden
Tag ein paar Mal. Meistens bekomme ich nur Werbung oder Briefe von
nigerianischen „Prinzen“, welche mir eine Million Dollar geben wollen. Heute
habe ich eine Email von meinem Bruder bekommen. Seine Emails sind immer sehr
kurz. „Hallo Dino. Wie geht es Dir? Hier ist der Code. Liebe Grüße, Alfredo“ Der Code ist eine Art Passwort. Ich kann damit zur Post
gehen, und sie geben mir Geld. Mein Bruder schickt mir jeden Monat
achthundert Euro. Es ist nicht viel, aber es ist besser als nichts. Es ist
gut, dass Alfredo mir hilft. Es gibt nicht viel Arbeit in Berlin. Jeden Tag kommen mehr Menschen aus Spanien,
Amerika, England. Alle wollen in Berlin wohnen und arbeiten. Viele von ihnen
sind jung und arbeiten mit Computern. Sie alle haben denselben Traum. Sie
träumen von Start-ups und dem großen Geld. Aber am
Ende sitzen sie nur mit ihren Laptops in Cafés und posten Party-Photos auf
Facebook. Meine Mutter weiß nicht, dass Alfredo mir Geld schickt. Sie denkt,
ich arbeite für eine Bank. Mein Vater sagt immer, dass deutsche Banken sehr
stark sind. Er ist sehr stolz auf mich.
Irgendwann werde ich auch Arbeit suchen. Aber zuerst muss ich Deutsch
lernen. Denn ohne Deutsch kann man in Deutschland nichts machen. Ich kenne
viele Amerikaner und Engländer, welche seit vielen Jahren in Berlin wohnen.
Aber sie sprechen die ganze Zeit nur Englisch mit ihren Freunden und ihr
Deutsch ist miserabel. Heute bin ich zur Post gegangen. Ich habe ein Formular
ausgefüllt, meinen Pass gezeigt, und dann habe ich mein Geld bekommen. Das
Leben in Berlin ist nicht so teuer. Ich bezahle dreihundert Euro im Monat für
mein WG-Zimmer, zweihundert für Essen und Trinken, circa einhundert für die
Monatskarte für Bus und Bahn. Es bleibt immer noch genug Geld für Partys und
andere Dinge. Alfredo sagt, er will mir helfen, bis ich einen Job gefunden
habe. Niemand hat Alfredo geholfen, als er neu in New York war. Er hat die
ganze Zeit gearbeitet, zuerst als Taxifahrer, dann in einer Pizzeria, dann in
einer Bank und so weiter und so fort. Jetzt hat Alfredo sehr viel Geld, aber
er hat nie Zeit. Ich habe sehr viel Zeit aber nicht viel Geld. 8.
Kohle, Ratten und Gespenster Es ist jetzt Herbst. Das Wetter ist sehr
schlecht. Der Himmel ist grau. Es ist kalt und regnet die ganze Zeit. Unsere
Wohnung ist sehr alt. Wir haben keine Zentralheizung. In unserem Wohnzimmer
steht ein alter Kachelofen. Das ist ein großer, brauner Klotz in der Ecke des
Zimmers. Chang sagt, der Ofen ist mehr als hundert Jahre alt. Gustavo hat mir
gezeigt, wie er funktioniert. Der Kachelofen hat eine kleine Tür. Zuerst
öffnet man die Tür, dann legt man ein paar Stücke Holz und ein Brikett
hinein. Mit einem Feuerzeug und ein bisschen Zeitungspapier zündet man das
Holz an. Wenn das Holz knistert, legt man die Kohle hinein. Nach einer Weile
wird es schön warm. Wir haben eine Tonne Kohle bestellt. Die Kohle ist im
Keller. Wir wohnen im vierten Stock. Die meisten Häuser in Berlin haben
keinen Aufzug. Wenn wir Kohle brauchen, gehen wir in den Keller. Der Keller
ist dunkel und schmutzig. Es gibt dort Ratten. (Chang sagt, es gibt dort
Gespenster von Menschen, die im zweiten Weltkrieg gestorben sind.) Aber wenn
es kalt ist, brauchen wir Kohle. Wir nehmen einen alten Kartoffelsack, gehen
in den Keller, füllen den Sack mit Kohle und tragen ihn in den vierten Stock.
Der Sack ist sehr schwer. Wir tragen ihn zu zweit. Außerdem macht die Kohle
viel Dreck. Das Treppenhaus hat schwarze Spuren, wenn wir fertig sind. Unsere
Nachbarn beschweren sich. Aber was sollen wir tun? Der Winter kommt bald. Ich
habe gehört, in Berlin gibt es manchmal 30 Grad Minus. In den Schlafzimmern
haben wir keine Kachelöfen. Dort haben wir eine Gasheizung. Es ist auch nicht
sehr modern, aber es funktioniert. Die Gasheizung ist ein kleiner Kasten
unter dem Fenster. Man muss einen Knopf drücken, und dann gibt es ein kleines
Feuer in dem Kasten. Meine Mitbewohner sagen, ich soll vorsichtig sein mit
der Gasheizung. Ich habe gefragt, ob es gefährlich ist. „Nein“, sagte
Gustavo. „Ja“, sagte Ted. „Es ist gefährlich, wenn wir die Rechnung bekommen.“ „Ich verstehe nicht“, sagte ich. „Ist Gas sehr teuer in
Berlin?“ „Im Mai bekommen wir die Rechnung für den
Winter“. Letztes Jahr mussten wir 500 Euro zahlen!“
„Wir bezahlen nicht jeden Monat?“, fragte ich.
„Nein“, sagte Ted. „In unserer Miete ist Heizung enthalten. Aber wenn wir die
Heizung sehr viel benutzen, müssen wir im Frühling extra bezahlen.“ „Kachelofen, Gasofen, Rechnungen, das ist alles sehr
kompliziert“, sagte ich. „Willkommen in Berlin“, sagte Ted. 9.
Die Dänische Dogge In unserem Haus gibt es viele Hunde. Im ersten
Stock wohnt ein Schäferhund und zwei Chihuahuas. Im zweiten Stock lebt ein
Dobermann und ein Windhund. Im dritten Stock wohnen drei Huskys.
Und ganz oben, im fünften Stock wohnt eine Dänische Dogge und ein
Rehpinscher. Bei uns im vierten Stock gibt es keine Hunde, aber unsere
Nachbarn haben eine dicke schwarze Katze. Heute Morgen beim Frühstück habe
ich gesehen, dass die Milch leer ist. „Wer hat die Milch leer gemacht?“, fragte ich. Chang zuckte mit den Schultern. Ted
schüttelte den Kopf. Gustavo sagte nichts. „Gustavo?“,
fragte ich. „Okay, okay“, sagte er. „Ich war’s.“ „Ab
die Post!“, sagte ich. Gustavo verließ die
Wohnung. Fünf Minuten später hörten
wir ein Geräusch. Und dann stand plötzlich die Dänische Dogge vom fünften
Stock in unserer Küche. „Wo kommt der her?“, fragte
Ted. „Keine Ahnung“, sagte Chang. „Vielleicht hat Gustavo vergessen, die Tür
zu schließen.“ „Und was machen wir jetzt?“, fragte ich. Wir bewegten uns nicht. Der Hund war höher
als unser Küchentisch. Er hatte rote Augen. Aus seinem Maul tropfte Speichel
auf den Fußboden. Er bewegte seinen riesigen Kopf und ging zur Spüle. Dann
begann er, unsere ungewaschenen Teller abzulecken. Er wedelte mit dem
Schwanz. Seine Zunge war so groß wie eine Kinderhand. Ted lachte und sagte:
„Endlich macht jemand unsere Teller sauber!“ Als der
Hund mit dem Geschirr fertig war, kam er zum Küchentisch. Er fraß ein halbes
Kilo Käse, zwanzig Scheiben Salami, eine Plastikgabel und meine Serviette.
Während der Hund den Tisch abräumte, bewegten wir uns nicht. Wir hielten den
Atem an. Plötzlich rannte der Hund aus
der Küche ins Wohnzimmer. Wir standen auf und folgten ihm vorsichtig. Aus
sicherer Entfernung sahen wir, wie der Hund ein paar alte Socken und
Zeitungen fraß. Dann wedelte er und schnüffelte an unserem Staubsauger in der
Ecke. „Nein!“, sagte Ted. „Nicht! Komm, Hundi, Hundi
…“Aber es war zu spät. Die Dänische Dogge rammte den Staubsauger, packte den
Staubsaugerbeutel und schüttelte ihn wie verrückt. Eine dunkle Staubwolke kam
aus dem Beutel. Wir husteten und schlossen die Augen. Wenige Sekunden später
war unser Wohnzimmer mit einer dicken Staubschicht bedeckt. Da klingelte es an der Tür. Es war unser Nachbar vom fünften Stock. „Äh,
sorry, habt ihr meinen Hund gesehen?“, fragte er.
Ich wischte den Staub von meinem Gesicht, hustete und zeigte ins Wohnzimmer.
Der Hund lag auf dem Sofa und schlief. 10.
Auf Wiedersehen, Berlin! Der Winter ist hier. Es schneit den ganzen
Tag. Alles ist weiß. Es ist sehr kalt. In drei Tagen fliege ich nach Sizilien
zu meiner Familie. Ich vermisse das Meer, die Sonne, unser Olivenöl und den
Rotwein. Bald ist Weihnachten. Heute habe ich Geschenke gekauft. Mein kleiner
Bruder bekommt eine DVD über die Berliner Clubszene, meinem großen Bruder aus
New York gebe ich einen Berliner Aschenbecher. Für meine Schwester habe ich
einen Berliner Bären gekauft. Mein Vater bekommt ein Buch über die Mauer. Für
meine Mutter wollte ich ein paar deutsche Cremes besorgen. Ich ging in eine
Drogerie und nahm Nivea Creme und ein paar andere Sachen. Dann ging ich zur
Kasse. Die Schlange war nicht sehr lang. Nur drei Leute. Vor mir stand eine
Frau mit langen, blonden Haaren. „Ingrid?“, fragte
ich. Sie drehte sich um, und tatsächlich, es war Ingrid! „Oh“, sagte sie. „Hi!“ „Wie geht es dir?“, fragte
ich. „Gut“, sagte sie. „Und dir?“ „Okay. Seit wann
bist du wieder in Berlin?“, fragte ich. „Ah, äh,
seit gestern“, sagte Ingrid. „Hast du meine Emails bekommen?“,
fragte ich. „Emails?“, fragte Ingrid. „Nein.“ „Vielleicht sind sie im Spam-Filter hängengeblieben“,
sagte ich. „Vielleicht … ja! Das muss
es sein“, sagte Ingrid. „Der Spam-Filter!“ „Schön
dich wiederzusehen“, sagte ich. „In drei Tagen fliege ich nach Sizilien zu
meiner Familie. Vielleicht hast du vorher Zeit für einen Kaffee?“, fragte ich. „Oh“, sagte Ingrid. „Ja! Ich würde gerne
einen Kaffee mit dir trinken, aber ich fliege morgen nach Stockholm.“ „Familie besuchen?“, fragte
ich. Ingrid nickte. Ich bezahlte meine Sachen und wir gingen nach draußen.
Ein eisiger Wind blies über den Asphalt. Ich zitterte und sagte: „Mann, ist
das kalt!“ „Wir sagen in Schweden, es gibt kein
schlechtes Wetter, nur schlechte Kleidung“, sagte Ingrid. „Was machst du
jetzt?“, fragte ich. „Äh … ich … äh“, stammelte
Ingrid. „Geschenke kaufen?“, fragte ich. „Ja, genau!
Geschenke kaufen“, sagte Ingrid. „Für Weihnachten.“
„Okay, viel Glück“, sagte ich. „Danke“, sagte sie. *** Ich sitze im Flugzeug. Wir rollen auf
die Startbahn. Während das Flugzeug abhebt, denke ich zurück an die letzten paar Monate. Ich habe Menschen aus aller
Welt getroffen. Ich habe gelernt, wie man einen Kachelofen benutzt, wo es den
besten Döner zum besten Preis gibt, und vieles mehr. Es war eine gute Zeit.
Ich weiß nicht, ob ich nach meinem Urlaub nach Berlin zurückkehren werde. Ich
habe die Sprache jetzt ein bisschen gelernt. Vielleicht gehe ich nach
München? Aber das Leben dort ist sehr teuer, habe ich gehört. Leipzig ist
sehr trendig momentan. Oder Köln, vielleicht? Die Menschen dort sind
freundlicher als in Berlin, habe ich gehört, und es ist nicht so kalt. Auch
in Österreich und der Schweiz spricht man Deutsch … Dieses Jahr ist fast
vorbei. Und wie sagt man? „Neues Jahr, neues Glück.“
Eins ist sicher. Wenn ich in Sizilien ankomme, werde ich erst einmal eine
rich richtige Pizza essen. |